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Rezension: Jugend ohne Gott

Die Angst vor dem Abstieg treibt an...

von Daphne Günter, Dilara Seker, Lea Appel, Nadine Birreck und Sophie Ambrosius (2018)

„Wenn ich die Augen öffne, sehe ich die Welt, wie sie ist: verlogen und kalt.“ Dieses Zitat aus dem Film beschreibt treffend die Zukunftsvision, die Alain Gsponer frei nach der Vorlage von Ödön von Horvàths Roman „Jugend ohne Gott“ präsentiert. Wir sehen eine auf Leistung und Prestige gedrillte Jugend, der jegliches Gefühl für Menschlichkeit, Wärme und Nächstenliebe verloren gegangen ist.

In dieser Dystopie besteht die Gesellschaft aus Leitungsträgern und Leistungsempfängern.Sie leben in voneinander abgetrennten Sektoren und wer sich dieser Zuteilung widersetzt, wird als „illegal“ erklärt und bestraft. Die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg treibt die Jugendlichen an, denn keiner von ihnen möchte in den Slums der Unprivilegierten leben. Im Zentrum des Films steht eine Gruppe Jugendlicher aus dem Sektor der Priviligierten, die im Rahmen einer Abschlussfahrt zu einem sogenannten Education Performance Camp fahren. Dort versuchen sie, im gegenseitigen Wettbewerb, einen der wenigen Plätze an einer Elite Universität zu ergattern.

Die ehrgeizige Nadesh (Alicia von Rittberg) findet dabei Gefallen an dem verschlossenen Zach (Jannis Niewöhner). Sie bemüht sich ihm zu helfen, auch als dieser immer weniger Interesse an den Wettkämpfen im Camp zeigt und sich stattdessen mit Ewa (Emilia Schüle), einer Illegalen, trifft. Auch der Lehrer (Fahri Yardim) möchte Zach vor dem Ausschluss aus dem Camp bewahren, steht jedoch unter dem Druck, seine Karriere nicht zu gefährden. Als Zach beschließt, das Camp zu verlassen und mit den Illegalen im Wald zu leben, kommt es zu einer Tragödie.

Ödön von Horvàths Roman „Jugend ohne Gott“ aus dem Jahr 1937 gehört zu den wichtigsten Büchern im Schulkanon der antifaschistischen Literatur. So war er auch Pflichtlektüre von Regisseur Alain Gsponer und nach eigener Aussage, eines der prägendsten Bücher seiner Schulzeit. Anders als der Film handelt das Buch von der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Die Geschichte wird hier ist aus der Perspektive des Lehrers erzählt und verdeutlicht die Probleme, die sich für ihn in einer nationalsozialistisch beherrschten Gesellschaft ergeben. Horvàths Lehrerfigur sucht und begegnet Gott im Laufe des Geschehens. Auch wenn „Gott“ im Titel der Verfilmung geblieben ist, taucht er jedoch in Gsponers Version der Geschichte nicht auf. Stattdessen löst der Film die Geschichte aus dem historischen Kontext und projiziert sie in eine nicht allzu ferne Zukunft. Anstatt die Jugend auf den Krieg vorzubereiten, wird Gsponers Jugend auf ein Leben in einer gnadenlosen Leistungsgesellschaft gedrillt. Dabei überträgt der Film gekonnt die Gesellschaftskritik von damals auf die heutige Situation. Wir sehen ein Bild der Zukunft, in der Menschen nur noch nach ihrer Leistung bewertet und rund um die Uhr überwacht werden. Es gilt: Jeder gegen Jeden. Im Zeitalter von Fitness Tracker-Armbändern und Teambuilding-Camps für Manager scheint dieser Zustand gar nicht mehr so fern.

Die Romanvorlage beschränkt sich auf die Perspektive eines Erwachsenen auf die Jugend. Die Verfilmung nimmt jedoch neben der Sicht des Lehrers vor allem auch diejenige der Jugendlichen ein, indem die gleichen Geschehnisse nacheinander aus verschiedenen Blickwinkeln nacherzählt werden. Durch die multiperspektivische Erzählstruktur offenbaren sich dem Zuschauer immer wieder neue Sachverhalte, so dass er detektivisch versucht, das Geheimnis des Mordes zu lösen. Diese erzählerische Besonderheit des Filmes ist aber zugleich auch seine dramaturgische Schwäche: Was über kürzere Strecken zunächst interessant erscheint, verleiht dem Film mitunter auch Längen. Es bleibt ein schmaler Grad zwischen Neugier auf ein neues Detail der Story und Ärger über unnötige Wiederholungen. Dafür kommen andere Gesichtspunkte, wie die Darstellung der „Illegalen“ leider zu kurz und bleiben sehr oberflächlich. Zach  verliebt sich zum Beispiel in gefühlter Rekordzeit in Ewa, die in ihrer Rolle der rebellischen Außenseiterin leider sehr klischeehaft dargestellt wird.  Ihre zerfetzte Kleidung und die Haare im Strubbel-Look wirken aufgesetzt und künstlich. Besonders an dieser Stelle hätte man von Maske und Kostüm besseres erwarten können.

Insgesamt vermag die nunmehr vierte Verfilmung des Horvàth-Textes jedoch durchaus zu überzeugen, was nicht zuletzt den gekonnten Bildern und der zur Atmosphäre passenden musikalischen Untermalung zu verdanken ist. Zum Ende wünscht man sich mitunter eine klarere Positionierung, denn außer der Flucht aus dem System scheint es keine weitere Möglichkeit zu geben.

Bleibt also die Frage offen, ob dies die Botschaft ist, die wir als Zuschauer mit nach Hause nehmen sollen bzw. wollen.