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Kafka für Kinder

von Virginia Franke, Laura Krakowski, Lena Sophia Pustet, Kevin Reinartz, Jasmin Yildirim, Dilara Zilifli (2020)

Was geschieht, wenn man bemerkt, dass man sich eines morgens in einen Käfer verwandelt hat und das zu allem Verdruss niemand anderem auffallen will? Ist es falsch anders zu sein, oder darf man sich guten Gewissens zu seiner eigenen Andersartigkeit bekennen?

Diese Fragen versucht Lawrence David in seinem Buch „Hilfe, Gregor ist plötzlich ein Käfer“ zu beantworten. Hierzu transformiert David die Essenz aus Kafkas Geschichte „Die Verwandlung“ und wandelt selbige für Kinder gewinnbringend um. In Davids Version verfolgen die Leser*innen den Jungen Gregor Sampson, der sich eines morgens als Insekt vorfindet. Als wäre dies nicht genug, muss Gregor zudem feststellen, dass ihm bis auf seinen Schulfreund niemand genug Beachtung schenkt, um seine missliche Lage wahrzunehmen. Den Leser*innen offenbart sich hierbei eine Geschichte, die von Heterogenität, der daraus resultierenden eigenen Unsicherheit und den ihr anhaftenden Qualitäten spricht. Eine Geschichte, die aufzeigt wie schmerzlich es sein kann, wenn die eigenen Lieben aneinander vorbeileben und die dazu mahnt, mehr Beachtung für sein eigenes Umfeld aufzubringen.

Das Buch ist im Beltz & Gelberg Verlag erschienen und ist Bestandteil der Reihe „Lust auf Lesen – Bücher für die ersten Lesejahre“. Die Intention, jungen Leser*innen einen Erstlesekontakt mithilfe einer Geschichte zu ermöglichen, deren eigentliche Bedeutung sich womöglich nicht direkt zu Beginn erschließen mag, scheint gewagt. So bietet sich das Buch eher als Vorlesebuch an, da die dem Buch innewohnende Metaphorik für die Rezipient*innen in eigenständiger Lektüre wohl nur schwer greifbar ist. Hier bedarf es sicherlich eines Kommentares seitens einer vorlesenden Person, die dem Kind erklärt, was es mit der Verwandlung auf sich hat und wie Selbige zu werten ist. Ansonsten wird die durchaus relevante Aussage des Buches, nämlich dass Familiärer Rückhalt auch dann besteht, wenn man selbst Veränderungen durchlebt, dahingehend abgemindert, dass Gregors Verwandlung als bloße Traumreise ohne größere Bedeutung empfunden wird. Vielmehr erlangt die Botschaft des Buches ihre volle Wertigkeit erst durch den Vergleich mit Kafkas Werk. Kafka zeichnet die Figur des hart arbeitenden Gregor Samsa, der den Verlust seiner Daseinsberechtigung im familiären Setting sowie die darauffolgende Verstoßung durch die Familie erlebt. Dies hat für ihn in „Die Verwandlung“ tödliche folgen. Ihm steht in „Hilfe, Gregor ist plötzlich ein Käfer“ der junge Gregor Sampson gegenüber. Selbiger ist ein Schuljunge, der von seinen Eltern wenig Beachtung erfährt, selbst als er sich vermeintlich in einen Käfer verwandelt hat. Anstatt den endgültigen Bruch mit der Familie spendiert David seinem Gregor einen glücklicheren Ausgang der Geschichte, der sich nach Versöhnung und Verständnis anfühlt. Durch diese Gegenüberstellung erfährt das Werk von Durand und David eine Aufwertung, die jungen Leser*innen in Eigenlektüre verwehrt bleibt, da es für selbige höchst unwahrscheinlich scheint, sich vorher mit Kafkas Werk zielführend auseinandergesetzt zu haben.

Nichtsdestotrotz ist sowohl die sprachliche als auch die bildliche Gestaltung des Buches für junge Leser*innen im Alter ab sieben Jahren angemessen. Die Autoren formulieren die einzelnen Passagen durchaus altersgerecht und ermöglichen den Leser*innen somit eine sorgenfreie Lektüre. Den Rezipient*innen präsentieren sich in kleine Häppchen verpackte Textbündel, die stellenweise die Form von Sprechblasen oder gar dynamischer Schrift annehmen. Dies gewährt ein kurzweiliges Lesevergnügen und zeigt auf, dass das Erkunden von Schriftsprache durchaus spannend sein kann. Delphine Durands Illustrationen mögen zwar stellenweise absurd anmuten, nichtsdestotrotz erscheinen sie farbenfroh und lebendig. Mit ihnen wird ein spannender Raum für die einzelnen Textstellen kreiert, der die Stimmung des Buches passend untermalt.

Abschließend ist festzuhalten, dass David und Durand mit „Hilfe, Gregor ist plötzlich ein Käfer“ einen spannenden Versuch wagen, einen düsteren Klassiker der Weltliteratur in ein farbenfrohes Kinderbuch umzuwandeln. Dies klappt an vielen Stellen, jedoch eben nicht an allen, was Kafkas Original geschuldet ist. Durch den Akt des Vorlesens und des damit einhergehenden Kontextualisierens erschließen sich den Rezipient*innen weitere Verständnisebenen, wodurch das vermeintliche Erstlesebuch somit zum Vorlesebuch wird, was seine Daseinsberechtigung jedoch nicht mindert. Schließlich lautet die Devise spätestens nach dem Lesen von „Hilfe, Gregor ist plötzlich ein Käfer“, seinen Lieben mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Und wie kann dies besser geschehen, als bei der gemeinsamen Lektüre in trauter Geselligkeit.