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Rezension: Tigermilch

Gewagt, aber überladen!

von Markus Brötsch, Kristoffer Corsten (2018)

„Viel Maracujasaft, Schulmilch und ordentlich Weinbrand“ – das ergibt Tigermilch. Man könnte auch sagen: die süße Verführung der Jugend, das Hintersichlassen der Kindheit und das harte Erwachsenwerden, womit man die Thematik des Films erfasst hätte.

Die besten Freundinnen Nini und Jameelah stellen sich im Großstadtchaos Berlins den Herausforderungen der Pubertät. Doch neben den typischen Teenagerproblemen wird ihre Freundschaft noch durch tiefergehende Ereignisse auf die Probe gestellt: dem laufenden Einbürgerungsverfahren von Jameelah und ihrer Mutter.

Dem Film von Ute Wieland gelingt eine stimmungsvolle Darstellung des jugendlichen Freigeistes und der rebellischen Auflehnung. Durch ihre Freundschaft und ihr „Wörterknacken“ – einem kreativen jugendsprachlichen Wortspiel – bieten die beiden Mädchen reichlich Identifikationspotential für die jugendliche Generation. Dabei spielen die bisher eher unbekannten Schauspielerinnen Flora Li Thiemann und Emily Kusche die beiden Hauptcharaktere mit einer überzeugenden Chemie.

Außerdem traut sich „Tigermilch“ was! Mit sexueller Offenheit und ungehemmten Drogenkonsum macht der Film keinen Halt vor bestehenden Tabus und wird glücklicherweise dabei gerade in Sachen Liebe nicht zu kitschig. Er zeigt Konflikte in ungeschönter Härte und hat vor allem in der zweiten Hälfte keine Angst davor, die Zuschauer mit einem unschönen Bauchgefühl zurückzulassen. Insgesamt schlägt die Filmhandlung immer wieder unerwartete Richtungen ein. Gleichzeitig versucht der Film neben den vielen Motiven des Coming-of- Age-Genres auch weitere Themen wie Religion, Kultur und Politik aufzugreifen, was zur größten Schwäche des Films führt.

„Tigermilch“ ist zu ambitioniert! Zwischen politischer Message und alltäglichen Teenagerproblemen bürdet sich der Film zu viele Themen auf, denen nicht genug Raum und die notwendige Tiefe gegeben wird. Prekäre Familiensituationen werden kurz angeschnitten, eine Teenagerschwangerschaft wird innerhalb von zwei Szenen abgefrühstückt. Dazu gesellt sich eine Anhäufung stereotypischer Darstellungen religiöser und kultureller Lebensverhältnisse. Zuletzt bleibt es bei aller Gewagtheit des Films zu hinterfragen, ob das dort gezeigte Verhalten der Teenager für die Zielgruppe des Films angemessen ist. Illegale Handlungen bleiben ohne Konsequenzen, der Konsum von Alkohol und Drogen wird als alltäglich und unausweichlich dargestellt.

Unterm Strich fängt „Tigermilch“ den Zeitgeist der jungen Generation ein, während er bei der älteren Generation eher für Kopfschütteln sorgt. Der Film leidet etwas unter seinen hohen Ambitionen und lässt somit viel Potential liegen. Er verrennt sich in einem politischen Statement, auf dessen Kosten die anderen Motive zu kurz kommen. Dennoch bleibt er ein solider Coming-of-Age Film, an dem alle, die Lust auf dieses Genre haben, ihren Spaß haben werden.