zum Inhalt springen


Helene Hegemann:
Bungalow. Ein Roman.
Hanser Berlin 2018.
283 Seiten
23,00 Euro
Junge Erwachsene

Hegemann, Helene: Bungalow. Ein Roman. 

Bungalow – kein Emotionscocktail für zarte Seelen

von Maren Hasselbach, Clara Marx, Eva Michaelis, Laura Nienhaus (2019)

Die Skandalautorin Helene Hegemann zeigt dem gutbürgerlichen Familienbild und dem Blümchensex den Mittelfinger; dabei bleibt sie dem Stil ihres ersten Buches Axolotl Roadkill treu: schonungslos, ehrlich, direkt, schockierend, präsentiert sich aber zugleich literarisch gereift.

In Hegemanns drittem Roman ‚rekonstruiert‘ die Protagonistin Charlie ihre verkorkste Jugend: Sie ist zwölf Jahre alt und lebt in einer seltsam unbestimmten Zukunft, die von Krieg und Naturkatastrophen gezeichnet ist. Das Viertel, in dem sie mit ihrer alkoholabhängigen und paranoid-schizophrenen Mutter lebt, zeigt deutlich die enorme Kluft zwischen arm und reich. Mutter und Tochter bewohnen eines der vier Hochhäuser mit Sicht auf die Bungalows der Wohlhabenden. Eine extreme Art der Faszination lösen die neuen Nachbarn, das Mittdreißiger-Paar Georg und Maria, aus. Als besonders anziehend empfindet die Erzählerin die konträr-exaltierte Haltung des Paares zum Leben und zur Gesellschaft, beispielsweise ausgedrückt durch einen extravaganten Kleidungsstil, ausschweifende Partys und durch ein polygames Liebesleben. Diese Faszination wird zu einer regelrechten Obsession, da sie ‚stalkend‘ versucht, möglichst viel aus deren Leben zu erfahren, um schließlich ein Teil davon zu werden.

„Bungalow“ lässt sich als ein Roman mit dystopischen Zügen für junge Erwachsene verstehen. Es ist kein Jugendroman im eigentlichen Sinn, er ist aber anschlussfähig für ‚Cross-Lektüren‘. Die Autorin fasst ihre Leser*innen nicht mit Samthandschuhen an, sondern konfrontiert sie mit ehrlicher, schonungsloser Brutalität. Ob Selbstbefriedigung, Alkoholmissbrauch oder Selbstmorde – Hegemann schreckt vor keinem Tabuthema zurück. Ihr Schreibstil ist sarkastisch, nüchtern und teilweise vulgär – mit stetigem Hang zur Übertreibung. Auch wenn es mitunter schwerfällt, Charlies Zeit- und Gedankensprüngen zu folgen, steht damit ein cleveres stilistisches Mittel zur Verfügung, um die chaotische, gestörte Kindheit und Jugend der Protagonistin widerzuspiegeln. Und genau durch diese so detailreiche wie mitunter konfuse Erzählweise gelingt es den Leser*innen leicht, Charlies Perspektive zu übernehmen. Mit ihrem Buch ‚serviert‘ Helene Hegemann einen Emotionscocktail, dessen Hauptzutaten Wut, Trauer und Mitleid sind, die vor allem durch Charlies Mutter katalysiert werden, einer hoffnungslosen Persönlichkeit mit immer wiederkehrenden emotionalen Nullpunkten und dem Hang zur Selbstzerstörung. Doch trotz alledem schafft es Hegemann, gerade durch Charlies trockene und sarkastische Erzählungen, die Leser*innen hier und da zum Schmunzeln zu bringen – der bittere Beigeschmack von Verzweiflung bleibt allerdings.

Bungalow ist ideal für Leser*innen, die keine Lust auf Friede-Freude-Eierkuchen-Blabla-Literatur haben, sondern konstruktiv mit den Schattenseiten des Lebens konfrontiert werden wollen.