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Titelbild
Leitner, Anton G./ Utler, Anja (Hrsg.):
Heiss auf dich
100 Lock- und Liebesgedichte
München: dtv 2002
160 S., € 7,50

Leitner, Anton G.; Utler, Anja (Hrsg.): Heiss auf dich 

Das Herz auf der Zunge

von Otto Brunken (2003)


Sammlungen von Liebeslyrik zählen nicht eben zu den Raritäten des Buchmarkts. Von Gelegenheitsdichtung bis hin zur hohen Literatur, vom Geschenkbüchlein bis hin zur umfassenden Anthologie findet sich so manches für jeden Geschmack, wobei nicht selten die immer gleichen Dauerbrenner zum Abdruck kommen.

Einen anderen Weg gehen Anton G. Leitner und Anja Utler mit ihrem Bändchen "Heiss auf Dich. 100 Lock- und Liebesgedichte". Es ist ausgerichtet auf ein Publikum von Jugendlichen (und jungen Erwachsenen). Dies erklärt die Schwerpunktsetzung in der Auswahl, stammt doch ein beträchtlicher Teil der Texte aus den letzten zehn Jahren - darunter etliche Originalbeiträge vornehmlich aus der Slam-Poetry- und der Hip-Hop-Szene. Ansonsten ist viel 'klassische' Moderne vertreten, u. a. Huch, Lasker-Schüler, Tucholsky und Brecht, von den Späteren u. a. Fried, Brinkmann und Hahn. Gedichte aus früherer Zeit finden sich nur spärlich. Erfreulich ist es, daß die Herausgeber von namhafteren Autoren solche Texte ausgewählt haben, die nicht ohnehin schon vom Schulkanon her bekannt sein sollten.

Das Bändchen ist in vier Abteilungen untergliedert. Deren erste ist betitelt "wir entfachen ein feuer, von dem wir uns betrinken" und enthält Gedichte, die vom Sich-Kennenlernen handeln, von dem Sich-Sehnen, Warten und Sich-Verzehren, der Ungeduld der frisch Verliebten, dem Locken und der Erregung. Die zweite Gruppe "hast du ein// heißes und schmutziges herz" versammelt Gedichte, die die Hochphase der Liebe besingen, den Genuss aneinander, die Betörung und den Rausch, der das Leben leicht macht und den Augenblick flüchtig. Die mitunter drastische Sprache mancher Junglyriker mag gewöhnungsbedürftig sein, trifft aber wohl den Zeitgeist. Alternativ kann man sich an der erotisierenden Schlüpfrigkeit der Barockgedichte erfreuen, die in ihrer kaum verhohlenen Deutlichkeit auch nicht ohne ist.

Die Überschrift zum dritten Teil "gib mir feuer,/ denn so kühl schon/ fühl ich mich" führt leicht in die Irre, denn es geht hier nicht primär darum, der nun erkalteten Liebe wieder aufzuhelfen, sondern um das Absterben von Gefühlen, um Ernüchterung, Entfremdung und Liebesverdruss, um die Einsicht, dass die Liebe oft wie Glut verlischt. "Aufhören! // Wir arbeiten jetzt an der Erfindung // Von neuen Gefühlen!" ist die letzte Gruppe betitelt, in der es 'um die Zeit danach' geht. Dieser mit sieben Gedichten kürzeste Abschnitt ist zugleich der heterogenste, da die (an sich schönen)Texte thematisch kaum zueinander passen.

So qualitätsvoll die Auswahl der Gedichte ist: In den einzelnen Abteilungen gibt es weder eine thematische noch eine chronologische Gliederung. Unerfindlich ist, warum das Gedichtpaar "süße, weißt du" von Nico Bleutge auseinandergerissen und in zwei Abteilungen verfrachtet wurde. Sehr überzeugend dagegen wirkt die Zusammenstellung des mittelalterlichen Gedichts " Du bist mîn, ich bin dîn" mit Richard Doves "Minnesangs Frühling im Internet", einer Collage, die ausschließlich authentisches Website-Material verwendet und als "Versuch eines multiperspektivischen, gleichsam objektiven Liebesgedichts" gelesen werden soll. - Solche inhaltlichen Korrespondenzen, die Differenzerfahrungen ermöglichen, hätte man sich häufiger gewünscht.

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