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Titelbild
Engström, Mikael:
Brando
Aus dem Schwedischen von Brigitta Kicherer
München u. a.: Hanser 2003
256 S., € 14,90

Engström, Mikael: Brando

Krieg zu verkaufen!

von Jutta Peckmann (2004)

Am Anfang ist alles noch ein Spiel. Brando zielt, schießt und trifft! Es ist ein formvollendetes Tor. Ein perfekter Schlenzer. Und gleichzeitig ein riesiger Fehler! Es ist ja schon schlimm genug, gegen die großen Jungs aus der Tottvägenmannschaft zu gewinnen, aber für Brando läuft es noch viel schlimmer. Perra, der King der Totter, knallt beim Versuch, den Ball zu halten, mit der Nase voraus gegen den Torpfosten. Ab da ist alles vorbei. Das Spiel ist aus und der Krieg beginnt!

„Du wirst es noch bereuen, dass du überhaupt geboren bist. Kriegst jeden Tag eine Abreibung. Versprochen!“ Brando weiß, dass Perra und seine Kumpels diese Drohung durchaus wahrmachen werden. Er rennt um sein Leben! Und er ahnt, dass er jetzt häufig auf der Flucht sein wird.

Denn Brando kommt aus einer Gegend, wo mit knallharten Fausthieben, derben Tritten und auch mal mit einem scharfen Luftgewehr abgerechnet wird. Ständig auf der Hut, von den Tottern erwischt zu werden, drücken sich Brando und sein Freund Larsa auf der Straße herum und müssen schmerzhafte Angriffe einstecken.

Der Autor Mikael Engström beschreibt detailliert die trostlose Umgebung einer Hochhaussiedlung, die gleichzeitig etwas Bedrückendes, aber auch etwas abenteuerlich Anziehendes an sich hat. „Die Straße war wie ein tiefes Tal in einer Berglandschaft, das den größten Teil des Tages im Schatten lag.“ Die Personen, die hier leben, sind alle einzigartig. Der skurrile Kioskverkäufer, der nicht rechnen kann und deshalb boshaft „Blitzmerker“ genannt wird, der merkwürdige Kriegsveteran Koskela, der nichts tut als Streichholzbildchen basteln, und Ola, der seltsame Junge, der unter dem Kiosk nach Eisstielchen sucht und wunderliche Fähigkeiten hat.

Mit Ola will keiner großartig etwas zu tun haben. Auch Brando und Larsa nicht: „Verkriech dich wieder unter den Kiosk. Ist ja nicht zum Aushalten, wie du nach Katzenpisse stinkst.“ Aber als es wieder einmal hart auf hart kommt, rettet Ola die beiden vor den Tottern, indem er sich selbst dem Angriff stellt. Danach hat Ola einen bläulichen Abdruck von einem Totenkopfring auf der Stirn und zwei neue Freunde!

Mit der Zeit lernen Brando und Larsa, dass Ola etwas ganz Besonderes ist. „Er kann etwas, das nicht normal ist, aber das begreift er nicht.“ Ola kann bestimmte Dinge im Voraus sehen, er kann eine Kugel schweben lassen und er kann einen kochendheißen Motorradzylinder anfassen, ohne sich zu verbrennen. Und was das Allerbeste ist: Er kann Clipper, den „Mörderhund“ vom Schrottplatz, zähmen! Und damit haben Brando, Larsa und Ola ein Revier erobert, auf das sich eigentlich niemand traut. Der Schrottplatz wird zu ihrem Zufluchtsort.

Zwischen ausrangierten Kühlschränken und alten Autowracks finden die drei ein Flugzeug, „eine silberglänzende Maschine“. Mit dieser fliegen sie nun täglich gen Japan und werfen über Hiroshima eine Atombombe ab. „Noch dreißig Sekunden. Zwanzig, zehn, fünf. Bombenabwurf jetzt!“ Nach einigen Tagen der Luftangriffe beschließen sie, dass es an der Zeit ist, die Totter anzugreifen. Sie locken ihre Feinde auf den Schrottplatz in eine Falle. Es gelingt alles perfekt! Die Totter ahnen nichts, und Ola hetzt ihnen den blutrünstigen Wachhund auf den Hals: „Fass die Eier!“

Die Freude über den gewonnen Kampf ist groß, aber nicht von langer Dauer. Die Totter wollen Rache und starten einen Überraschungsangriff. Brando begreift, dass es wohl immer so weiter gehen wird. „ Dann machen sie als Nächstes Mus aus uns. Und dann wieder wir aus ihnen. Und sie aus uns, und wir aus ihnen, und sie aus uns und immer so weiter.“

Mikael Engström zeigt uns neben der harten Welt, in der Gewalt alltäglich ist und mit der Brando ständig konfrontiert wird, auch noch eine andere. Es ist Brandos innere Welt, seine Gedanken und Gefühle, die er seiner toten Mutter mitteilt, wenn er abends auf seinem Fensterbrett sitzt und in den Himmel schaut. Hier wird das Geschehen reflektiert, es werden Erklärungen abgegeben und Fragen gestellt. Der rasante Ton der Geschichte wird unterbrochen und auch der Leser erhält die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und die Ereignisse zu überdenken.

Und hier ist Brando nicht Brando, sondern Marlon. Marlon ist sein richtiger Name, der Name, den ihm seine Mutter gegeben hat, der Name, den er mit einer Zeit verbindet, als die Welt noch unkompliziert war. „Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, Sonntag. Alle Tage in der richtigen Reihenfolge. Mama war stolz und ihm war ganz schwindelig vor Glück.“ Inzwischen hat er gelernt, dass es doch nicht so einfach ist wie die Reihenfolge der Wochentage. Im Gespräch mit seiner Mutter macht er sich Gedanken über das Leben, den Tod, die Welt, die Menschen und über den Krieg. Und er erzählt von der Raumsonde Voyager, die in seinem Geburtsjahr ins Weltall geschickt wurde, um auf allen Sprachen der Welt eine Nachricht zu verkünden. „Die Nachricht handelt von unserem Planeten und teilt mit, dass wir in friedlicher Absicht kommen.“

Brando, Larsa und Ola wird klar, dass sie den Krieg mit den Tottern gar nicht wollen. Sie haben die Angst und die Kämpfe reichlich satt und überlegen, dass es das Beste wäre, die ganze Sache einem anderen zu überlassen: „Wir verkaufen diesen Krieg!“ Allerdings ist das nicht so einfach! Statt ihren Krieg loszuwerden, machen sie sich neue Feinde. Die Lage spitzt sich mehr und mehr zu und scheint schließlich absolut aussichtslos.

Dass letzten Endes Perras Vater - der Vater vom ärgsten Feind - den Krieg beendet, hätte niemand geglaubt. Es ist eine der interessanten Wendungen, die die Spannung des Buches ausmachen und schließlich alle Details zu einem schlüssigen Bild zusammenfügen.

Der Krieg ist vorbei. Brando, Larsa und Ola sitzen in ihrer silbernen Maschine und fliegen gen Japan, um Hiroshima zu bombardieren. Und draußen im Weltall fliegt die Raumsonde Voyager und setzt ihre Bahn durch die Milchstraße fort ...

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