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Nelson, Blake:
Paranoid Park
Aus dem Amerikanischen von Heike Brandt
Weinheim: Beltz 2008
184 S.
€ 12,90
Jugendbuch ab 14 Jahren

Nelson, Blake: Paranoid Park

(Un)schuldig

von Ulrich Kelle (2008)

„Ich stecke voll in der Scheiße.“ – Dies scheint der erste klare Gedanke zu sein, den „Skater“ nach dem schrecklichen Unfall fassen kann. Seine blutige Kleidung hat er längst entsorgt, sein Skateboard, das er Minuten zuvor einem Wachmann in den Nacken geschlagen hat, in den Fluss geworfen. Und doch war das alles nur ein Unfall. Notwehr! Oder etwa doch nicht?

Zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder Henry wächst „Skater“ in Portland, im Nordwesten der USA, auf. Er ist im elften Jahrgang, kurz davor, zum ersten Mal eine feste Freundin zu haben, und gehört als leidenschaftlicher Skateboarder zu den coolen Typen der Schule. Man sollte meinen, der Protagonist in Blake Nelsons Jugendroman „Paranoid Park“ sei eigentlich ein ganz normaler Teenager, mit einem ganz gewöhnlichen Leben, wie es wahrscheinlich zigtausende in seinem Alter leben. Doch das beunruhigende und bedrückende Gefühl, das sich beim Lesen der Geschichte langsam, aber unaufhaltsam einschleicht, ruft ein anderes Bild hervor.

„Skaters“ bester Freund ist Jared. Zusammen skaten sie jeden Tag nach der Schule, probieren Ollies, Grinds und andere Tricks und kennen die besten Spots der Stadt. Besonders fasziniert sind sie vom „Paranoid Park“, einer illegalen Anlage zwischen alten Lagerhäusern unter der Eastsidebridge Portlands. Dort lernt „Skater“ Schramme und andere Straßenkids kennen. Schrammes Vorschlag, auf einen vorbeifahrenden Güterzug zu springen, reizt „Skater“ sehr. Er wagt es, jedoch mit katastrophalen Folgen. Ein Wachmann entdeckt die beiden Jugendlichen, wie sie an einem Waggon des Zuges surfen. Er zwingt sie mit roher Gewalt, vom Zug zu springen. „Skater“ weiß sich nicht anders zu helfen, als mit seinem Skateboard auf den wie wild zuschlagenden Wachmann loszugehen. Dabei geschieht das Unglück: Der Wachmann stürzt, gerät unter den Zug und wird auf grausame Weise zerquetscht.

Was für „Skater“ als Abenteuer begann, entwickelt sich nach und nach zum Horror. Er und Schramme trennen sich auf der Flucht vom Tatort, doch „Skater“ schafft es nicht, einen klaren Gedanken zu fassen, um dieser schrecklichen Situation zu entkommen: „Ich musste nachdenken. Wenn man mir nun die Schuld gab? Es war ein Unfall, aber wenn die Polizei das nicht so sah? Und wenn es nun gar kein Unfall war? Ich hatte den Wachmann mit dem Skateboard geschlagen. War das verboten? Vielleicht war es Notwehr. Ich wusste es nicht.“ Panische und schlaflose Nächte lassen die folgenden Wochen zu einem Albtraum werden. Die Ehe seiner Eltern ist schon seit langem kaputt, und besonders „Skaters“ Mutter scheint darunter sehr zu leiden. Sich ihr anvertrauen? Unmöglich! Seine erste Freundin, Jennifer, will unbedingt mit ihm schlafen, aber wie kann er in dieser Situation an Sex denken? Die trügerische und den Jungen lähmende Normalität, die ihn umgibt, scheint den Teenager langsam zu zerfressen. Und als eines Tages die Polizei in der Schule auftaucht, ist sie wieder da, diese „Scheißangst“.

Mit „Paranoid Park“, von Heike Brandt ins Deutsche übersetzt, hat der 1960 in Chicago geborene Blake Nelson einen Jugendthriller geschaffen, der den Leser von der ersten Seite an mit in die Geschichte hineinzieht. Da die einzelnen Abschnitte des Buches als Briefe gestaltet sind, mag man als Leser annehmen, dass es sich um einen Briefroman handelt. Jedoch wird der Korrespondenzpartner nicht genannt. Erst am Ende des Buches stellt sich heraus, dass die Briefe keinesfalls an eine bestimmte Person gerichtet sind, sondern ihr Schreiben eine Art Bewältigung für „Skater“ darstellt. Denn statt das Niedergeschriebene, einem Bekenntnis gleich, zu versenden, wird Skater gegen Schluss der Geschichte alle geschriebenen Briefe verbrennen. Der Akt des Verbrennens wird für „Skater“ zu einem reinigenden Läuterungsprozess. Diese ganz besondere Wendung gibt dem gesamten Roman eine sehr individuelle Note.

Die fesselnde Hilflosigkeit des Ich-Erzählers, seine Ängste und Sorgen in einer Zeit des Erwachsenwerdens, schaffen auf 184 Seiten eine knisternde Atmosphäre. Der Autor kreiert eine bitterböse Situation, in der sicherlich niemand gerne selbst gefangen wäre. „Skaters“ Gefühle werden ungeschönt und mitreißend dargestellt. Die gesamte Erzählung wirkt jugendnah und authentisch.

Gus van Sant, der Regisseur des Films zu „Paranoid Park“ – 2007 bei den Filmfestspielen in Cannes mit dem Sonderpreis ausgezeichnet –, beschreibt das Werk als „eine Art Schuld und Sühne der Skaterwelt“. Und tatsächlich hat man sich am Ende des Buches die Gewissensfrage zu stellen: „Wie hätte ich in dieser Situation reagiert?“

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