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Meinderts, Koos:
Lang soll sie leben
Aus dem Niederländischen von Monika Götze
Wien: Jungbrunnen 2016
EA 2014 u.d.T.: Lang zal ze leven
124 Seiten
€ 14,95
Jugendbuch ab 14 Jahren

Meinderts, Koos: Lang soll sie leben

Wenn zwei Leben sich kreuzen ...

von Miriam von der Heiden, Susanne Laschitzki und Nadine Nasilowski (2016)

"Ich stehe wie angewurzelt vor der Bahnschranke. Der Zug fährt donnernd vorbei und wirbelt alles auf, was zwischen den Gleisen liegt. WARTEN BIS DAS ROTE LICHT ERLOSCHEN IST. WEITERER ZUG KANN FOLGEN. Der Hinweis auf dem Schild ist mir noch nie aufgefallen."

Im Alter von 16 Jahren ist Eva beschäftigt mit vielen Dingen, die Jugendlichen durch den Kopf gehen: Schule, Eltern und Liebe. Doch dann ändert sich ihr Leben schlagartig, nachdem sie der älteren Dame Ida an der Bahnschranke das Leben rettet und als gefeierte Lebensretterin für kurze Zeit im Mittelpunkt der Gesellschaft steht. Doch Eva kann sich nicht darüber freuen, denn sie sieht sich selbst nicht als solche. Von innerer Unruhe getrieben, sucht sie den Kontakt zu Ida, um sich nach deren Wohlbefinden zu erkundigen.

Kontrastreich und einfühlsam thematisiert der niederländische Autor Koos Meinderts in „Lang soll sie leben“ den Dialog zwischen Jung und Alt. Der Autor bietet, personifiziert durch die sechszehnjährige Protagonistin Eva, Einblicke in das konfliktreiche Jugendalter, den Wunsch, das Leben kennenzulernen und sich selbst zu finden. Dabei fühlt sich Eva von ihrer Familie und ihren Freunden unverstanden. In Gesprächen mit Ida erlangt sie neues Selbstbewusstsein, sodass sie sich auf dem Weg der Selbstfindung emotional von ihrer besten Freundin Sanne und der unausgeglichenen Freundschaft befreien kann. Im Kontrast dazu kreiert Meinderts die Figur der alten Dame Ida, für die ‚ihr Leben nicht mehr länger ein Fest‘ ist (Originaltitel: „Lang zal ze leven. Als het leven niet langer een feest is“). Einst lebensbejahend, hat Ida sich heute von ihren Emotionen losgelöst und fühlt sich innerlich leer. Durch Eva verändert sich ihr trostloser Alltag, und sie lernt erneut, Empathie zu empfinden, ihr Lebenswille kehrt aber auch dadurch nicht zurück.

Zu Beginn des Romans ist es schwierig auseinanderzuhalten, in welchen Passagen über Ida und in welchen über Eva berichtet wird, da die Erzählung nach der Rettung der alten Dame beginnt und dann zeitnah Rückblenden erfolgen, die jedoch zunächst nicht offenlegen, über wen der beiden Frauen berichtet wird. Es wird aber schnell ersichtlich, dass Eva die Ich-Erzählerin ist und über Ida zusätzlich aus der Perspektive einer allwissenden ErzählerIn berichtet wird. Dies bietet einen tieferen Einblick in Idas Leben als Jugendliche und ihr Verhältnis zu ihrer bereits verstorbenen Freundin, zu der sie ein sehr enges Verhältnis gehabt hat. Die LeserInnen können durch die Rückblenden Idas emotionale Entwicklung von einer lebensbejahenden Dame hin zu einer emotional tauben Person beobachten und somit die Beweggründe für Idas Suizidversuch erahnen.

Insgesamt bietet Koos Meinderts den LeserInnen eine berührende Erzählung mit einer Vielzahl an kritischen Reflexions- und Interpretationsmöglichkeiten. Der strukturelle Aufbau vermag jedoch für den/die ungeübte LeserIn anspruchsvoll sein. Sowohl im schulischen als auch privaten Bereich kann das Buch eine Bereicherung für Jugendliche darstellen und bietet Identifikationsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen. Es lädt zum Nachdenken und Diskutieren ein.

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