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Selznick, Brian:
Die Entdeckung des Hugo Cabret
Aus dem Amerikanischen von Uwe-Michael Gutzschhahn
München: cbj 2008
544 S.
€ 19,95
Jugendbuch ab 12 Jahren

Selznick, Brian: Die Entdeckung des Hugo Cabret

Das Räderwerk der Welt

von Kristin Pietsch (2008)

„Die Geschichte, die ich euch gleich erzählen werde, spielt im Jahr 1931 unter den Dächern von Paris. Dort werdet ihr einem Jungen mit dem Namen Hugo Cabret begegnen, der einmal, vor langer Zeit, eine geheimnisvolle Zeichnung entdeckte, die sein Leben für immer veränderte.“

Für seine Mitmenschen unsichtbar, lebt der zwölfjährige Hugo Cabret in den Gemäuern des Pariser Bahnhofs. Nachdem sein Vater, ein Uhrmacher, bei einem Museumsbrand ums Leben gekommen ist, muss Hugo sein Zuhause und die Schule verlassen, um seinem ständig betrunkenen Onkel bei der Wartung der Bahnhofsuhren zu helfen. Als der Onkel eines Tages spurlos verschwindet, ist Hugo auf sich allein gestellt. Von da an kümmert er sich mit Hingabe und Geschick um die Uhren, stiehlt ab und an eine Flasche Milch oder ein paar Kuchen und versteckt sich vor dem Stationsvorsteher, der ihn ansonsten ins Waisenhaus oder, noch schlimmer, ins Gefängnis stecken würde.

Hugo fühlt sich einsam, er vermisst seine Schulkameraden und vor allem seinen Vater. Während er seiner Arbeit nachgeht, träumt er davon, ein Zauberer zu sein, so wie die Männer, die die wundervollen Filme geschaffen haben, die er sich mit seinem Vater immer im Kino angesehen hat. Sein einziger ‚Freund’ in dieser trostlosen Zeit ist ein mechanischer Mann - ein Automat, den Hugos Vater kurz vor seinem Tod reparieren wollte und den der Junge in den Trümmern des verbrannten Museums findet. Hugo glaubt, dass in dieser Apparatur eine geheime Botschaft seines Vaters auf ihn wartet und beginnt mithilfe des väterlichen Notizbuchs mit der Reparatur.

Auf der Suche nach passenden Ersatzteilen gerät Hugo mit dem alten, verhärmten Besitzer des Spielwarenstandes, Georges Méliès, aneinander, den er seit Monaten beklaut. Georges nimmt das Notizbuch des Jungen an sich und entdeckt darin die Skizzen des Automaten. Dies scheint ihn aus der Bahn zu werfen und er droht damit, das Büchlein zu verbrennen. Doch Hugo bekommt Hilfe von Isabelle, der Patentochter des alten Spielzeugverkäufers. Zusammen begeben sie sich auf die Suche nach dem Geheimnis, das den mechanischen Mann umgibt. Warum reagiert Georges so wütend auf Hugos Zeichnungen? Welches Geheimnis hütet der mechanische Mann? Und kann man vielleicht auch ein gebrochenes Herz so einfach reparieren wie eine Uhr?

Der Illustrator und Autor Brian Selznick verbindet in seinem ersten Roman Themen wie Einsamkeit, Freundschaft und Verlust mit der rätselhaften Welt der Mechanik. Eingebettet in die Nachforschungen, die Hugo anstellt, um hinter das Rätsel des Automaten zu kommen, erfährt der Leser Vieles über die Anfänge und die Faszination des Kinofilms. Der Roman verknüpft dabei Geschehnisse rund um die reale, historische Person Méliès mit Fiktion. Besondere Beachtung verdient daher das ausführliche Quellenverzeichnis mit Angabe aller verwendeten Bilder (wenn auch leider mit falschen Seitenangaben) und einem Hinweis sowohl auf erwähnte Filme, als auch auf solche, die großen Einfluss auf die Geschichte hatten. Selznick gibt sogar Tipps für die Internetrecherche und Literatursuche zum Thema ‚Film’.

Schon bei der Lektüre selbst fühlt man sich wie im Kino. Der Text ist auf schwarzen Seiten, ähnlich den Texttafeln zu Stummfilmzeiten, gedruckt. Der Umschlag erinnert an einen roten Vorhang, wie er in vielen Kinosälen zu finden ist. Absolut gleichwertig mit der geschriebenen Geschichte sind die rund 200 Bleistiftzeichnungen Selznicks in Schwarzweiß anzusehen, die oft szenenartig aneinander gereiht sind. Teils bedrückend verwischt, teils historisch anmutend und detailreich, fangen sie die Stimmung der Handlung passend ein und heben sich deutlich von den eingefügten Filmszenen und den abgedruckten Werken Méliès ab. Der Autor erzählt Hugos Geschichte mit Bildern und Worten, doch niemals erklärt der Text nur die Bilder oder umgekehrt. Dadurch kann sich der Leser wirklich wie im Film fühlen: veränderte Blickwinkel, Zoom und Cuts, sogar ein Vor- und Abspann untermalen die aufregende und mysteriöse Geschichte.

„Die Entdeckung des Hugo Cabret“ zeichnet sich vor allem durch die phantasievolle Verbindung von Bild und Wort aus und schafft es so, den Leser in die Rolle eines Zuschauers zu versetzen - er kann in eine längst vergangene Zeit und in eine für ihn fremde Welt eintauchen. Doch neben der ideenreichen Fiktion fesseln auch die real-geschichtlichen Hintergründe und regen zum Weiterforschen an. Brian Selznick eröffnet mit seinem innovativen Werk somit ein völlig neues Genre. Es handelt sich um ein empfehlenswertes Buch, welches nicht nur junge Leser, sondern vor allem auch Filmliebhaber ansprechen sollte.

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