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Hole, Stian:
Garmans Sommer
Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
München: Hanser 2009
48 ungez. Seiten
€ 14,90
Bilderbuch ab 5 Jahren

Hole, Stian: Garmans Sommer

Dieser Sommer kommt nie wieder

von Katharina Päselt (2009)

Fast alle Kinder freuen sich, wenn es heißt: Nach dem Sommer geht’s in die Schule! Denn dann sind sie keine ‚Babys’ mehr, sondern gehören endlich zu den Großen, und sie müssen auch nicht mehr den Kindergarten besuchen. Bei Garman ist das etwas anders. Ihm wird mulmig zumute, wenn er daran denkt, dass es nach diesem Sommer so weit ist und er vielleicht nie wieder so einen schönen Sommer erlebt. Doch Garman lernt nicht nur, dass diese Jahreszeit vergänglich ist.

Der Leser und Betrachter des Bilderbuches „Garmans Sommer“ erlebt mit dem Jungen dessen letzten unbekümmerten Sommer, denn bald besucht er die Schule und „bald kommt [auch] der Herbst“. Wie jedes Jahr kommen seine Tanten zu Besuch, und wie jedes Jahr bekommt er von ihnen eine „selbst gestrickte Pudelmütze mit Quaste“, obwohl er lieber eine „schwarze Mütze mit Batman vorne drauf“ hätte. Er philosophiert mit den Tanten über seine Ängste im Leben, zumal nicht nur er Angst hat, weil er in die Schule kommt. Das Gefühl der Angst hegen auch die Tanten und seine Eltern, jedoch aus anderen Gründen. Tante Ruth braucht bald einen Rollator, und das verängstigt sie. Auch Tante Borghild hat Angst, da sie bald „mit dem Großen Wagen, über den Himmel bis zu einer großen Pforte“ fährt. Sie möchte Garman nicht alleine lassen.

Garman erfährt in diesem Sommer, dass er nicht der einzige ist, der Angst hat, und dies macht ihm Mut. Er merkt, dass nicht nur dieser Sommer vergänglich ist, sondern auch das Leben und die Zähne. Bei ihm wollen diese nicht so wirklich „lose“ werden, obwohl es allmählich an der Zeit dafür wäre. Die Zwillinge Hanne und Johanne haben schon vier verloren – und seine Tanten schon alle. Der Protagonist beobachtet seine Umwelt sehr genau. So auch die Zahnprothesen der Tanten, welche während ihres Mittagsschlafes in Gläsern auf dem Tisch rumstehen, nur die von Tante Borghild ist „etwas gelockert“ in ihrem Mund. Garman lernt, dass immer, wenn etwas vorbei geht, auch etwas Neues kommt.

Dem norwegischen Autor Stian Hole ist mit seinem computergrafischen Kunstwerk „Garmans Sommer“ ein großartiges Buch gelungen, das unter anderem im Jahr 2007 mit dem Bologna Ragazzi Award – dem wichtigsten internationalen Bilderbuchpreis – ausgezeichnet worden ist. Die farbenfrohen Fotomontagen zeigen zum einen surrealistische Elemente wie die Tante auf einem Skateboard oder auch alte Damen, die kaum größer sind als das Gras. Zum anderen fotorealistische Elemente, die die Sommersprossen in Garmans Gesicht oder die kleinen Barthaare der Tanten riesengroß darstellen. Der Grafiker und Designer Stian Hole spielt bei seinen Darstellungen von Garmans Welt mit realen, aber auch unwirklichen und traumhaften Feinheiten, die die Bilder verspielt, verträumt und zugleich detailgetreu aussehen lassen. Man muss das Buch mehrmals betrachten, damit man die vielen Details überall sieht, aber auch die ungewöhnlichen Elemente entdecken kann. Die Welt wird aus der Sicht der Kinder erzählt, und der Betrachter fühlt sich als ein Teil des Buches, da die Figuren ihn überwiegend direkt ansehen. Der jeweilige Text ist in Schwarz- bzw. Weißdruck immer in das Bild integriert. Es ergibt sich somit eine Einheit von Bild und Text. Wenn die integrierten Textpassagen jedoch nicht gelesen werden, überwiegt die Kuriosität der Bilder. Manche Bilder wirken dabei auf den ersten Blick äußerst skurril, wie das von den Zwillingen, welche ihre Zähne schon verloren haben, aber durch die Story bekommen sie einen gewissen Charme. So ist der Leser durch die Neuartigkeit dieser Bilder zu Beginn etwas distanziert, aber dann von diesem Werk fasziniert. Jede neue Doppelseite steht in dem Buch für sich und zeigt kleine Episoden von Garmans letztem Sommer.

Die kindlich naive Redeweise klingt lustig, steht jedoch nicht im Widerspruch zu der Melancholie der Geschichte. Der Künstler vereint die Sprache beeindruckend mit den Bildern und lässt eine traumhaft-melancholische Welt entstehen. Er schreibt in einer Bildsprache, wie die Welt der Kinder aus ihrer Sicht sein könnte.

Stian Hole geht auf respektvolle Weise mit den Gefühlen der Kinder um. Er zeigt uns auf eine sensible Art, wie schön das Leben ist, und weckt Hoffnung, denn auf diesen Sommer folgt schließlich auch ein nächster. Auf die Fortsetzung „Garmans Straße“, welche in Norwegen schon erschienen ist, kann man gespannt sein – vielleicht bekommt Garman dann ja die Batman-Mütze, die er sich schon immer gewünscht hat.

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