zum Inhalt springen

Titelbild
Bittner, Wolfgang/Wiemers, Sabine:
Wochenende bei Papa
Freiburg u. a.: Kerle 2001
(Erstauflage 1999)
24 S

Bittner, Wolfgang (Text) und Sabine Wiemers (Illustration): Wochenende bei Papa

Kekse bei Mama, Beeren bei Papa

von Traudl Bünger (2001)

Die Eltern streiten sich immer häufiger, der Vater zieht aus dem gemeinsamen Zuhause aus, ein trauriges kleines Mädchen bleibt zurück. Eine ganz gewöhnliche Scheidungsgeschichte. Wie Jennys Alltag mit getrennten Eltern aussieht, haben Sabine Wiemers und Wolfgang Bittner in Bild und Text umgesetzt. Dabei geht es nicht um neue Partner der Eltern, ungewohnte Familienkonstellationen oder neue Streitigkeiten. Es geht schlicht um ein „Wochenende bei Papa“.

Die Bilder erzählen von Jennys Reisevorbereitungen, der Fahrt mit Mama im Zug und den Unternehmungen mit Papa. Der Text löst sich an manchen Stellen von den Illustrationen, etwa um die Vorgeschichte zu erzählen, Personen und Schauplätze einzuführen oder Einblick in Jennys Gefühlsleben zu gewähren. An anderen Stellen erläutert er auch nur die Bildinhalte oder tritt sogar bescheiden in den Hintergrund. Dann gibt er Sabine Wiemers’ außergewöhnlichen Illustrationen Raum, ihre eigenen Geschichten zu erzählen.

Die mehrfach ausgezeichnete Illustratorin mischt in einer farbenfrohen Collage die unterschiedlichsten Materialien und Techniken. Herkömmliches – mit Blei oder Kohle gezeichnete Konturen, mit zarter Pastellkreide, Aquarell- oder kräftiger Plakafarbe ausgemalte Flächen – steht neben Ungewöhnlichem. Da gibt es grob ausgeschnittene Fotos, sparsam bearbeitet und in die Illustrationen eingepasst. So überraschend diese Kombination erscheint, so amüsant sind die Bedeutungen, die Wiemers den Fotos durch Integration in andere Kontexte zuweist. Ein kleines Sträußchen Petersilie tritt als Busch auf, ein Blumenkohl als Wolke, ein Salatblatt wird zur Zimmerpflanze und Blüten sind oft aus Gebäck, wie zum Beispiel Zimtsternen.

Die Figuren wirken zweidimensional, man fühlt sich erinnert an Pappfiguren. Dieser Effekt entsteht, weil die Kleidung meist aus flächig eingesetzten Mustern besteht, der Faltenwurf von Kleidern und Stoffen wird nur grob durch Linien und Schattierungen angedeutet. Form und Tiefe haben eigentlich nur die Gesichter der Figuren. Obwohl sie mit ihren riesigen Mündern leicht karikiert dargestellt sind, wirken sie nie bedrohlich oder Angst einflößend. Im Gegenteil, auch die Erwachsenen erscheinen harmlos, mit ihren runden Gesichtern und Stupsnasen. Neben den bunten Mustern, in die die Figuren gekleidet sind und die sie von den eher gedeckten Hintergründen abheben, verwendet Wiemers auch Materialien wie Rechenkästchen und Millimeterpapier. Bizarr ist auch die Gestaltung der Perspektiven. Indem Wiemers die einzelnen Motive in verschiedene Blickwinkel rückt, vermittelt sich ein beinah traumartiger Eindruck – etwa steht eine Stehlampe viel zu groß und der Schwerkraft trotzend neben Papas Umzugswagen.

Neben der Geschichte von demTag, an dem Jenny bei Mama aufwacht und bei Papa schlafen geht, eröffnen sich weitere Dimensionen: Traurig und verlassen sehen der leere Zahnputzbecher und der leere Handtuchhaken in Mamas Badezimmer aus. Sie erzählen davon, dass bis vor kurzem noch eine dritte Person hier zu Hause war. Die Mechanismen, mit denen Jenny die Trennung der Eltern verarbeitet und ihre Sehnsucht nach einer kompletten Familie artikuliert, sind ebenfalls auf subtile Art in den Bildern präsent. Anhand von drei Stofftieren, die durch ihre symbolträchtige Farbgebung leicht der Mutter, dem Vater und Jenny selbst zugeordnet werden können, werden Sehnsüchte und Verletzungen des kleinen Mädchens ausgedrückt. Mit gepacktem Koffer verschwindet der grün-gelbe Bär Teddy aus dem Haus – parallel erzählt der Text von Papas Auszug. Beim Teetrinken mit Papa hingegen ist durch Elch Brüll auch Jennys Mama symbolisch anwesend. Andere Bildinhalte reizen wiederum zum Lachen. Während Jenny und ihre Mutter mit dem Schaffner plaudern, verdrückt sich eine schemenhafte Gestalt im Bildhintergrund verstohlen aus dem Abteil – offensichtlich hat hier jemand ,vergessen’, eine Fahrkarte zu lösen.

Obwohl das Bilderbuch die Zeit nach der Trennung behandelt, werden mögliche Motive der Eltern in Text und Bild angedeutet. Gegensätzliche Lebensstile werden einerseits durch den Wohnort transparent – Jennys Mutter lebt in der Stadt, ihr Vater wohnt auf dem Dorf in einem „Hexenhäuschen“, in seinem Garten tummeln sich die Schafe Schopenhauer und Einstein. Außerdem gibt es bei Mama Schokolade und Kekse, bei Papa hingegen Johannisbeeren, Stachelbeeren und Himbeeren – ein Bruch mit verbreiteten klischeehaften Vorstellungen von ernährungsbewussten Müttern und Fastfood liebenden Vätern.

Beide Eltern jedoch gehen liebevoll mit ihrer kleinen Tochter um. Diskret lässt Papa Jenny beim Telefongespräch mit Mama allein und Mama freut sich, dass es Jenny bei Papa gefällt. Und auch wenn beide Eltern nicht auf Jennys zaghafte Vermittlungsversuche reagieren, so äußern sie doch ihr Mitgefühl: „Ich verstehe, dass du traurig bist“, sagt Papa. Jenny wird ernst genommen und das tut gut. So kann sie am Ende dieses ereignisreichen Tages resümieren: „Dich habe ich am liebsten und Mama habe ich auch am liebsten.“

In „Wochenende bei Papa“ führen Sabine Wiemers und Wolfgang Bittner vor, wie es trotz einer gescheiterten Ehe gelingen kann, einem Kind beide Elternteile zu erhalten. Das Bedürfnis von Kindern, wenigstens nach einer solchen traumatischen Erfahrung nicht noch weitere Verletzungen zu erfahren, steht im Vordergrund. Ohne die Problematik zu verharmlosen, werden unterschiedlich komplexe Lesarten und Deutungsmuster angeboten. Schon die Allerkleinsten erhalten so Gelegenheit, eigene Gefühle zu entdecken und zu verarbeiten.