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Titelbild
Och, Sheila:
Bitte eine neue Welt, Herr Ober!
Aarau u. a.: Sauerländer 1998
180 S.

Och, Sheila: Bitte eine neue Welt, Herr Ober!

Perfekt deutsch

von Liane Tetting (1999)

Was macht man, wenn man von Prag nach Bonn zieht? Man kauft sich ein Wörterbuch und einen Fernseher und beginnt, Deutsch zu lernen. Dies tun auch Karl und sein Vater. Schnell hat sich Karl die Sprache von „Tom und Jerry“ oder „Speedy Gonzales“ zu Eigen gemacht, obwohl er nie richtig versteht, warum Tom Jerry eigentlich so erbittert verfolgt.

Doch Karl lernt noch viel mehr: dass in Deutschland zu Ostern immer die Fenster geputzt sind, dass man im Kindergarten keinen Zucker essen darf, aber dann zur Einschulung eine Zuckertüte geschenkt bekommt. In seinem Kopf „arbeitet eine Registrierkasse“, die alles, was er für typisch deutsch hält, speichert; wohl geordnet nach Sparten „wie Kleidung, Benehmen, Sprache, Fingernägel, Essen“.

Sheila Och, selbst tschechischer Herkunft, zeigt in ihrem ersten in deutscher Sprache geschriebenen Buch mit viel hintergründiger Ironie den schwierigen Anpassungsprozess eines Jungen, der erkennen muss, dass es im Leben nicht nur darum geht, perfekt Deutsch zu lernen. In verschiedenen Rückblicken begleiten wir Karl von seinem sechsten Lebensjahr, als er gemeinsam mit dem Vater und dem Teddy Mischa Mischowitsch in Deutschland ankommt, bis zu seinem 19. Lebensjahr, als er, verlassen von seiner Freundin, nach Hause zurückkehrt und wieder einmal denkt, dass seine Welt schief liege.

Gekonnt verbindet die Autorin mehrere Lebensbereiche miteinander: Da ist die Geschichte von der Freundschaft zu Maria und Rudi, die Karl in seiner „neuen“ Welt bis zum Abitur begleiten. Und da ist die Geschichte der Vater-Sohn-Beziehung, die zeigt, dass der Vater, der sich selbst treu bleibt und zu Karls Leidwesen immer noch "hier" und "dort" verwechselt, vielleicht doch der zufriedenere Mensch ist. „Dabei macht er gar nichts Besonderes, er ist, so wie er ist, einfach nur da.“ Dies erkennt Karl, als „die Registrierkasse in seinem Kopf“ ohne Warnung ihren Geist aufgibt. „Sie hatte ausgedient und sich ausgerattert.“

Sheila Och stellt das Thema Assimilation mit viel Humor dar, ohne aber ihre Figuren lächerlich erscheinen zu lassen. Sie benutzt eine sehr lebendige Sprache – man kann die Knödel und die Schweineschulter mit Knoblauch, die im Topf köcheln, förmlich riechen. Mit viel Sprachwitz lässt sie uns teilhaben an einer Kindheit in den 70er Jahren, an dem Versuch, sich eine Welt zu erobern, ohne dabei sich selbst aufzugeben.

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