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Mazer, Norma Fox:
Der gespiegelte Mond
Aus dem amerikanischen Englisch von Cornelia Krutz-Arnold
Wien: G & G 1998.
270 S., € 12,90

Mazer, Norma Fox: Der gespiegelte Mond

Eine zweite Chance für Em

von Petra Stukenbrock (1999)

„Ich hatte nicht geglaubt, dass Pamela jemals sterben würde. Für etwas so Simples und Schäbiges wie den Tod war sie zu wuchtig, zu grimmig, zu wütend.“ Wirklich gestorben ist sie für ihre 16-jährige Schwester Em auch nicht. Pamelas unsichtbare Gegenwart beeinflusst noch immer ihr Denken und Handeln.

Solange sich Em erinnern kann, war Pamela die Unberechenbare und Verrückte, sie selbst dagegen die Angepasste. „Sei schön brav Em, und pass auf Pamela auf“, hatte die unter Schwermut leidende Mutter ihr eingeimpft. Das erhoffte Glück – so denkt Em – werde sich einstellen, wenn sie nur alles richtig mache. Nach dem Tod der Mutter und der erneuten Heirat des alkoholkranken Vaters flüchten die Mädchen in die Stadt. Doch für Em wird die Situation dadurch keineswegs besser, mehr als zuvor ist sie Pamelas verbaler und körperlicher Gewalt ausgeliefert. Sie reibt sich auf bei dem Versuch, den Ansprüchen ihrer Schwester und denen der Gesellschaft gerecht zu werden.

Nun ist Pamela tot und Em könnte endlich ihr eigenes Leben führen. Doch durch die völlige Isolation von der Welt hat sie den Umgang mit Menschen verlernt. Nur Schritt für Schritt erobert sie sich das Verlorene zurück. „Der gespiegelte Mond“ ist Ems Symbol für den unereichten Zustand von Zufriedenheit, Reinheit und Stille. Der deutsche Titel akzentuiert damit ihren unerschütterlichen Glauben an das Glück. Treffender scheint daher der Originaltitel “When She was Good“, mit dem Norma Fox Mazer den Konflikt Ems und ihre Einstellung zu sich selbst ins Zentrum rückt. So ist es vor allem die Geschichte eines gedemütigten Mädchens, das nach Jahren erfahrener Gewalt seinen eigenen Weg sucht. Schonungslos, aber nicht übertrieben wird eine Lebenswirklichkeit am Rande der Gesellschaft dargestellt: eine Welt voll Armut und Gewalt – mit dem Stigma des Andersseins.

Konsequent wählt die Autorin die Perspektive Ems, wobei sie durch Verknüpfung verschiedener Zeitebenen die Vielschichtigkeit der Beziehungen hervorhebt. Auch sprachlich beeindruckt dieses Jugendbuch mit nachdenklichen, fast poetischen Passagen und der gelungenen Montage von Pamelas Kommentaren in den Erzähltext. Geschickt macht die Autorin durch deren Reduktion zum Ende des Buches Ems Befreiung von der Schwester deutlich. – Ein überzeugendes Buch, das es wert ist, auch mehrfach gelesen zu werden.

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