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  • Titelbild Großansicht:
    Lemieux, Michèle:
    Gewitternacht
    Gedanken-Bilder-Buch.
    Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2002.
    (Erstausgabe 1996)
    240 S., € 8,90.
  • Titelbild Großansicht:
    Solotareff, Grégoire:
    Du groß, und ich klein
    Aus dem Französischen von Erika und Karl A. Klewer.
    Frankfurt a. M.: Moritz 2002.
    (Erstausgabe 1996)
    36 S., € 14,80.

    Auch als TB:
    Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2004.
    (Beltz & Gelberg MINIMAX)
    36 S., € 5,50.
  • Titelbild Großansicht:
    Gleich, Jacky/Orlev, Uri:
    Das kleine große Mädchen
    Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler.
    Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 2002.
    (Erstausgabe 1997)
    32 S., € 5,90.
  • Titelbild Großansicht:
    Obrecht, Bettina:
    Julian und das Mamapapa
    Illustrationen von Kerstin Meyer.
    Donauwörth: Auer 2003.
    (Erstausgabe 1997)
    64 S., € 1,49.
  • Titelbild Großansicht:
    Nöstlinger, Christine:
    Mr. Bats Meisterstück
    Illustrationen von Erhard Dietl.
    Hamburg: Oetinger 2003.
    (Erstausgabe 1976)
    128 S., € 5,-.
  • Titelbild Großansicht:
    Klein, Robin:
    Quer durch die Galaxie und dann links
    Aus dem Englischen von Salah Naoura.
    Weinheim u. a.: Beltz & Gelberg 1998.
    174 S., € 6,45.

Sammelrezension „Wenn ich groß bin ... - Zukunftswünsche und -vorstellungen von Kindern“
Lemieux, Michèle (Text und Illustration): Gewitternacht
Solotareff, Grégoire (Text und Illustration): Du groß, und ich klein
Orlev, Uri (Text) und Jacky Gleich (Illustration): Das kleine große Mädchen
Obrecht, Bettina (Text) und Kerstin Meyer (Illustration): Julian und das Mamapapa
Nöstlinger, Christine (Text) und Erhard Dietl (Illustration): Mr. Bats Meisterstück
Klein, Robin: Quer durch die Galaxie und dann links

Wenn ich groß bin ...

von Monika Klein und Claudia Rathmann (1998)

Kleinsein ist wirklich nicht leicht! Wer klein ist, braucht den Schutz der Großen, möchte aber durchaus nicht immer tun, was diese für richtig halten. Großsein ist deshalb gerade für jüngere Kinder eine wichtige Zukunftsperspektive. Es verheißt ihnen all die wunderbaren Dinge, für die sie im Moment noch ,zu klein’ sind.

Um kindliche Zukunftswünsche und Vorstellungen von Welt geht es in dem Bilderbuch Gewitternacht. „Ich kann nicht schlafen. Tausend Fragen schwirren mir im Kopf herum.“ Es sind zwar nicht tausend, aber immerhin fast fünfzig, über die in diesem Buch nachgedacht wird. Ganz unterschiedliche Themen werden dabei miteinander verknüpft. Tod und Leben beschäftigen das ängstliche Mädchen ebenso wie das Ende der Welt oder die Unendlichkeit. Philosophische Fragen verbinden sich mit naiv-kindlichen Vorstellungen, die den erwachsenen Leser manchmal schmunzeln lassen.

Immer wieder denkt die kleine Protagonistin auch über das eigene Leben und ihre Zukunft nach. Sie träumt von Kindern, besonderen Fähigkeiten und davon, berühmt zu werden. Auch ängstliche Gedanken an die Zeit des Großseins tauchen auf: „Werde ich immer die richtigen Entscheidungen treffen? Und wie weiß ich, ob es die richtigen sind? Werde ich vom Unglück immer verschont bleiben? Passt eigentlich da oben irgend jemand auf mich auf? Außer natürlich Mama, die immer an alles denkt?“

Mit seinen schwarz-weißen Federzeichnungen wirkt „Gewitternacht“ fast wie ein Skizzenbuch. Manche Bilder erscheinen ungelenk. Sie erinnern an Kinderzeichnungen, die die Vorstellungen und Gefühle eines kleinen Mädchens visualisieren. Andere wiederum sind atmosphärisch sehr dicht, so z. B. die Gewitterszenen, die in regelmäßigen Abständen die kindlichen Gedankenspiele unterbrechen und die Ausgangssituation ins Gedächtnis rufen. Lemieux ist ein ungewöhnliches Bilderbuch gelungen, dessen philosophische Tiefe vor allem Erwachsene faszinieren wird.

Ganz anders präsentieren sich die Illustrationen in Du groß, und ich klein, für das Gregoire Solotareff 1997 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde. Rot, Blau und Gelb bestimmen die großflächigen Bilder, mit denen der Künstler seine Geschichte vom Großwerden erzählt. Schüchtern und hilflos tritt der kleine Elefant den Betrachtenden auf der ersten Seite entgegen. Seine Körperhaltung signalisiert Angst und Schutzbedürftigkeit. Sie appelliert an das Mitleid des Großen – und der ist kein geringerer als der König der Tiere.

Der Löwe aber denkt zunächst nicht daran, sich um den kleinen Elefanten zu kümmern. Schließlich nimmt er ihn doch in seinen Palast auf und „schon nach wenigen Tagen sind sie unzertrennlich“. Es ist ein ungleiches Paar, in dessen Größenunterschied sich zugleich die Machtverhältnisse spiegeln: Der Löwe bestimmt, denn er ist „schließlich der König“, und der Elefant gehorcht, „ohne zu maulen“. „Du groß, und ich klein“ versichert er seinem König – dieser Satz kehrt immer wieder. Er ist ein Leitmotiv für das ganze Buch.

Aus dem hilflosen ,Kind’ wird mit der Zeit ein selbstständiger ,Erwachsener’. „Du bist zu groß für mich, und du kannst von mir nichts mehr lernen“, sagt der Löwe eines Tages zum Elefanten. Und so kommt es zur Trennung. Als sie sich nach Jahren wieder treffen, ist der Löwe alt und schwach geworden. Nun braucht er selbst die Zuwendung des Elefanten.

Solotareffs Bilder drücken aus, was der Text nur andeutet. Sie vermitteln auf ganz elementare Weise die emotionale Dimension dieser Beziehung. Durch sie nehmen die Betrachtenden Anteil an der Entwicklung der Protagonisten, an den zärtlichen Augenblicken zwischen ,Vater’ und ,Sohn’, an der schmerzlichen Trennung und dem überraschenden Wiedersehen. Viel Zeit ist vergangen, aber immer noch gilt: „Du groß, und ich klein.“

Ums Kleinsein und ,Endlich-groß-sein-Wollen’ geht es in Das kleine große Mädchen von Uri Orlev und Jacky Gleich. Daniela ist klein. Es gibt nur wenige Personen, die noch kleiner sind als sie, z. B. Sarah, das Baby der Nachbarin. Die meisten Menschen aber sind größer als Daniela – und das ärgert sie. Vor allem gegenüber ihren Eltern fühlt sich das Mädchen klein und schwach. Die können „selbst Licht anknipsen“, „die Tür mit dem Schlüssel auf- und zuschließen“ und „mit der großen Schere schneiden“. Aber vor allem können sie über Daniela bestimmen. Es sind alltägliche Dinge, in denen das Mädchen immer wieder Ohnmacht gegenüber den ,größeren’ Eltern spürt.

Doch plötzlich ist alles anders. Daniela ist groß und ihre Eltern sind klein. Mit der veränderten Körpergröße verkehren sich auch die Machtverhältnisse. Nun bestimmt das Kind, was die ,geschrumpften’ Eltern tun müssen: „,Wühl nicht im Schrank’, sagte Daniela zur Mutter. ,Ich suche dir ein Kleid aus.’ ,Ich will aber eine Hose’, sagte die Mutter. ,Jeden Tag das gleiche Theater’, sagte Daniela. ,Ich gebe dir ein Kleid und du willst eine Hose. Ich gebe dir eine Hose und du willst ein Kleid.’“ Auch über ihr eigenes Leben hat Daniela nun die Kontrolle: „Ich gehe heute nicht in den Kindergarten“, entscheidet sie trotzig und bleibt allein zu Haus.

In gedeckten Farben inszeniert die Trickfilmanimateurin Jacky Gleich Danielas lustvollen Rollentausch. Die Bilder sind nicht statisch, sondern drücken Handlungen aus, die auf den Fortgang der (Bild-)Geschichte gespannt machen. Die Betrachtenden haben dabei oft Anteil an der Perspektive des kleinen Mädchens. Am Ende stellt sich heraus, dass die ,Verkehrte Welt’ nur ein Traum war. Und diesmal ist Daniela sogar froh, „ein kleines großes Mädchen“ zu sein.

Ähnlich wie Daniela fühlt sich auch Julian in dem Leseanfängerbuch Julian und das Mamapapa der Allmacht seiner Eltern ausgeliefert. „,Wieso nennst du denn deine Mama und deinen Papa das Mamapapa?’ ,Weil sie immer so sind, als wären sie nicht zwei, sondern nur einer’, sagt Julian. ,Sie sagen und machen immer das Gleiche.’“

Seine Eltern erscheinen Julian wie ein „Ungeheuer“. Es gelingt dem Erstklässler einfach nicht, ihre Einheit zu sprengen. „Ich helfe dir“, verspricht ihm seine Klassenkameradin Stine – denn die kennt sich aus mit streitenden Eltern. Doch was Stines Eltern entzweien kann, wirkt noch lange nicht bei Julians Mamapapa! Das ist sich nämlich – entgegen allen Erwartungen – auch darin einig, dass Jungen ihre Kleider nicht schmutzig machen dürfen und Liebeskummer keine Entschuldigung für eine schlechte Mathearbeit ist.

Schließlich hat Stine doch noch die rettende Idee: „Wenn nämlich deine Eltern immer die gleiche Meinung haben, dann brauchst du dringend einen Bruder oder eine Schwester. Dann seid ihr nämlich zwei gegen zwei.“ Das leuchtet Julian ein. Zu zweit könnten sie es schaffen. Doch so lange muss er gar nicht mehr warten, denn bei der Geschwisterfrage sind sich Julians Eltern plötzlich gar nicht mehr einig.

In einfachen Worten und mit viel Witz beschreibt Bettina Obrecht, wie Eltern zu einer schier unüberwindbaren Front werden können. Die Geschichte ist – in Text und Bild – konsequent aus der Sicht des Siebenjährigen erzählt, der dabei für manches Kind zur Identifikationsfigur werden kann.

Zum Rollentausch wider Willen kommt es in Christine Nöstlingers Kinderbuch Mr. Bats Meisterstück. Alles fängt damit an, dass Oma Seifertiz über ständige Fuß schmerzen klagt: „Der Fuß ist einfach zu alt. Die ganze Oma ist zu alt.“ „Lass dich verjüngen“, schlägt ihr Enkel Robi vor.

Die Idee ist geboren. Ein Verjüngungstrank von Mr. Bat – Parallelen zur Figur des Batman sind nicht nur im Namen auffällig – soll die Oma von ihren Beschwerden befreien. Zur Sicherheit – und weil es gar so lecker schmeckt – trinkt die Oma gleich die ganze Flasche und schrumpft prompt auf die Größe eines Kindergartenkindes.

Nun muss Robi in die Rolle des Erwachsenen schlüpfen. Das ist nicht leicht, denn die selbstbewusste Oma macht nur das, was sie will. Mit der „Kindergartentante“ kommt sie deshalb überhaupt nicht zurecht. Außerdem ist sie ziemlich albern – man kann sie wirklich keine Minute alleine lassen. Robi will seine ‚alte’ Oma wiederhaben. Ein Gegenmittel muss her! Mithilfe einer Zeitmaschine kann die Mixtur besorgt und Oma Seifertiz zurückverwandelt werden.

Nöstlinger spielt nicht nur mit den Rollen von Kindern und Erwachsenen, sondern auch mit dem Gegensatz von ‚Großem’ und ‚Kleinem’ in der geschrumpften Oma: Einmal schlägt sie übermütig Purzelbäume oder springt mit dem Seilchen, ein anderes Mal verblüfft sie wieder durch ihren Witz und Verstand. Ein Kontrast, der vermutlich gerade jüngere Kinder anspricht.

Das 1976 erstmals erschienene und inzwischen vielfach aufgelegte Buch ist in übersichtliche Kapitel unterteilt, was weniger geübten Leserinnen und Lesern entgegenkommt. Der Text wird von Comic-ähnlichen Schwarzweißzeichnungen unterbrochen, die heute vielleicht etwas veraltet erscheinen. Kinder, die nicht wissen, was ein „Lackl“ oder ein „Himbeerburli“ ist, können diese und andere Wörter in einem Glossar nachschlagen.

Um große Verantwortung von kleinen Leuten geht es in Robin Kleins Sciencefictionroman für Kinder, der auch als Fernsehserie ausgestrahlt wurde. X, Qwrk und Dovis müssen mit ihren Eltern vom Planeten Zyrgon fliehen, weil der Vater zum 27. Mal die staatliche Lotterie geknackt hat. Mit einem gebrauchten Raumschiff fliegen sie Quer durch die Galaxie und dann links zur Erde. Hier wollen sie eine Weile untertauchen. Als Familie Jackson versuchen sie, sich auf dem fremden Planeten zurechtzufinden. Das fällt nicht leicht, denn auf Zyrgon war alles ganz anders! Alltägliche Dinge wie Kochen und Einkaufen werden zum Problem – vom Schulbesuch gar nicht zu reden. Die Konfrontation der uns vertrauten Welt mit den Gepflogenheiten der ‚Zyrgonianer’, für die ‚Levitieren’ und ‚Kinetisieren’ zum Alltag gehören, führt immer wieder zu lustigen Situationen. Das Vertraute wird verfremdet und aus dem Kontrast zur Norm entsteht ein neuer Blick auf die eigenen Gewohnheiten.

Auch die Rollen sind hier anders verteilt: Die Mutter geht arbeiten, der Vater kocht und erledigt den Haushalt und die jüngste Tochter X alias Charlotte ist die Familienorganisatorin. „Ein Organisator trägt die alleinige Verantwortung bei allen wichtigen Entscheidungen. Er hat die Familieneinheit ständig unter Kontrolle zu halten ...“ Eltern und Geschwister müssen Charlottes Befehlen gehorchen – eine verlockende Vorstellung für den kindlichen Leser.

Für das Mädchen ist dies jedoch eine schwierige Aufgabe, denn die übrigen Familienmitglieder denken nicht daran, sich an die vereinbarten Regeln zu halten. Die Verantwortung führt mehr und mehr zur Überforderung: „Organisator zu sein ist die einsamste Aufgabe in der ganzen Galaxie, und ich hasse es! Wäre ich doch nie einer geworden!“ – Robin Klein zeigt hier, wie ‚Großsein-Müssen’ Kinder belasten kann – ein kritischer Aspekt in einem ansonsten heiteren Buch, an dem geübte Leserinnen und Leser sicher Freude haben werden.

Wenn jüngere Kinder sich mit Zukunft beschäftigen, meinen sie damit die Zeit, in der sie endlich groß sind. Die hier vorgestellten Bücher setzen das Spannungsverhältnis von Groß und Klein und die Attraktivität des Großseins auf ganz unterschiedliche Weise um. Doch so verschieden die Bücher auch sind, sie machen alle deutlich, welche Bedeutung der Gedanke an Zukunft auch schon für jüngere Kinder hat.